Stuttgart (dpa) - "Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren." Wenn das Weihnachtsevangelium im Hospiz St. Martin zitiert wird, dann herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Hier gehört der Tod zum Alltag.
Umringt von einem Adventskranz mit roten Christbaumkugeln steht eine cremefarbene Kerze in einer Glasvase am Fenster des Hospiz St. Martin in Stuttgart. Doch sie brennt nicht. Einem flammenden Docht blickt man hier nicht mit seligem Lächeln entgegen. Denn wenn diese Kerze brennt, ist ein Bewohner gestorben. Hospize wie das katholische St. Martin oberhalb der baden-württembergischen Landeshauptstadt kümmern sich um Menschen, deren Leben zu Ende geht, meist wegen einer unheilbaren Krankheit.
Das Fest im Hospiz sei eine große Erleichterung, meint eine 69 Jahre alte Patientin. "Ich muss keine Vorbereitungen machen, dieser Weihnachtsstress ist immer eine Hetzerei gewesen", sagt sie. Jetzt habe sie Zeit zum Nachdenken und Überlegen, was es mit Weihnachten wirklich auf sich hat.
So wie ihr geht es derzeit vielen Menschen. Bundesweit gibt es etwa 200 stationäre Hospize. Dort kümmern sich die Pfleger um die psychosoziale und spirituelle Betreuung und überwachen die Schmerztherapie, so dass die Sterbenskranken mit möglichst wenig Beschwerden bis zuletzt leben können.
Der Ablauf an Heiligabend bleibt jedes Jahr gleich: Gemeinsames Kaffeetrinken, ein Posaunenchor spielt vor dem Gebäude mit den bordeauxroten Hausmauern, anschließend gehen alle zum Gottesdienst. Das Weihnachtsmenü steht schon fest: Kartoffelsalat und Saitenwürstchen (Wiener Würstchen), ganz traditionell. Danach gibt es eine Bescherung mit kleineren Aufmerksamkeiten wie Wohlfühldüften, Kerzen oder Massageölen.
"Weihnachten ist im Hospiz wie jeder andere Tag auch", sagt Ralf Wollmerstedt, der stellvertretende Pflegedienstleiter. Sieben Weihnachten habe er bisher im Hospiz erlebt, erzählt der 55-Jährige. Und jedes sei anders gewesen: "Ich weiß einfach, dass ich viele Menschen, die mir hier nahe gekommen sind, bald nicht mehr sehen kann", sagt er und senkt den Blick.
"Weihnachten ist ohnehin schon ein emotionales Fest, aber hier ist es besonders emotional", berichtet auch Leiterin Angelika Daiker. Die acht Betten sind stets besetzt. Im Hospiz seien die sterbenskranken Menschen und ihre Angehörigen nicht alleine mit ihren Gedanken, sagt die 59-Jährige. Auch nicht in der Nacht: Gerade dann, wenn alle nach den Feierlichkeiten zu Hause ins Bett sinken und schlafen, überfällt die Schwerkranken oft die Traurigkeit.
"Was uns im Alltag hier miteinander verbindet und wie wir die letzten Wochen gemeinsam gelebt haben: Das alles gibt an Weihnachten noch mal einen Höhepunkt", sagt Daiker. "Wir bilden dann eine Weihnachtsfamilie". Eine vorübergehende Familie, die so als Gemeinschaft nie mehr zusammenkommt.
Wollmerstedt spricht von einem "Stück Heimat". Für die Pflegekräfte ist es ein sehr besinnlicher Augenblick - wenn man erkenne, dass es nicht selbstverständlich ist, gesund und munter mit seiner Familie am Tisch zu sitzen und die Zeit an den Feiertagen gemeinsam genießen zu können. Daher wird an Heiligabend nicht nur zusammen gefeiert und gesungen, sondern auch viel geweint und gelacht. "Jeder Moment im Hospiz ist kostbar, ausgefüllt an Emotionen und voller Leben", sagt Daiker.
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