Zwei gezielte Fragen sollen einer Studie zufolge auf einen problematischen Alkoholkonsum oder eine -abhängigkeit hinweisen. Doch lässt sich das auch auf die Praxis anwenden, reichen zwei Fragen dafür wirklich aus?

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Alkohol ist billig, ständig verfügbar und gesellschaftlich anerkannt – obwohl die volkswirtschaftlichen Kosten durch Alkoholkonsum laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Deutschland rund 57 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Außerdem haben Menschen mit Alkoholerkrankung, häufig auch ihre Angehörigen, oft einen hohen Leidensdruck.

Im Jahr 2022 war die Diagnose "Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol" bei knapp 236.000 Behandlungsfällen die fünfthäufigste Hauptdiagnose in Krankenhäusern. Bei männlichen Patienten war es sogar die zweithäufigste Hauptdiagnose. Wie eine Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit zeigt, ist das allerdings nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.

Insgesamt 7,9 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren konsumieren Alkohol in einer gesundheitlich riskanten Form. Das Risiko für körperliche, psychische oder soziale Schäden ist bei ihnen erhöht. Bei neun Millionen Menschen in der Altersgruppe sind verschiedene Folgen bereits spürbar oder ein Kontrollverlust über den Alkoholkonsum vorhanden.

Alkoholerkrankung – wenn Scham und Angst die Früherkennung erschweren

Abhängigkeitserkrankungen betreffen Menschen aus allen sozialen Schichten. Im Gegensatz zu den meisten körperlichen Erkrankungen, über die offen gesprochen wird, sind substanzbezogene Suchterkrankungen stark stigmatisiert. Vorurteile und gesellschaftliche Klischees führen dazu, dass das Thema oft tabuisiert wird. Viele Betroffene verheimlichen ihre Abhängigkeit aus Sorge vor sozialer Ausgrenzung. So bleiben Suchterkrankungen oft lange unentdeckt und Hilfsangebote werden nicht in Anspruch genommen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass der eigene Alkoholkonsum häufig nicht als problematisch wahrgenommen oder verdrängt wird.

Hausärztinnen und -ärzten wird bei der Früherkennung von Alkoholproblemen eine wichtige Rolle zugeschrieben, da sie zu vielen Patienten über die Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben. Aber auch in der hausärztlichen Versorgung wird Alkoholkonsum nur selten angesprochen, wie unter anderem eine wissenschaftliche Befragung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ergab. Dabei kann eine frühzeitige Diagnose schwerwiegende Folgen verhindern. Und auch nach langer Abhängigkeit können moderne Therapiekonzepte helfen, Abstinenz – oder das alternative Therapieziel kontrolliertes Trinken – zu erreichen.

Was ist ein Alkohol-Screening?

Damit problematischer Alkoholkonsum möglichst früh identifiziert wird, haben Suchtexpertinnen und -experten eine Leitlinie für Hausärzte entwickelt. Werden bei einer Untersuchung Hinweise auf eine alkoholbezogene Störung festgestellt, soll mit einem Alkohol-Screening ermittelt werden, ob sich diese erhärten und ob weitere diagnostische Maßnahmen nötig sind. Standardisierte Fragebögen wie der AUDIT-Test sind dabei Teil des Screenings.

Weiterführende Informationen zum AUDIT-Test

  • Der Test beinhaltet Fragen wie: "Wie oft trinken Sie alkoholische Getränke?" oder "Wenn Sie in den letzten zwölf Monaten Alkohol konsumiert haben – wie viele Gläser waren es üblicherweise pro Tag?" Ein Glas entspricht dabei 0,33 Liter Bier, 0,25 Liter Wein oder Sekt oder 0,02 Liter Spirituosen. Die Antworten werden auf einer Skala mit 0 bis 4 Punkten bewertet. Aus der Summe aller Antworten ergibt sich dann ein Gesamtscore. Ab 8 Punkten besteht der Verdacht auf eine alkoholbezogene Störung, ab 15 Punkten besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Alkoholabhängigkeit.

Mit zehn Fragen ist der AUDIT für viele Hausärzte allerdings zu zeitintensiv, da sie im Durchschnitt nur 7,6 Minuten für einen Patienten haben. Die anerkannte Kurzversion des Tests, die lediglich drei Fragen enthält, soll das Screening praxistauglicher machen. Denn: Auch Kurz-Screenings mit wenigen Fragen haben sich als wirksam erwiesen. Welche Fragen sich in der medizinischen Grundversorgung besonders gut zur Früherkennung eignen, haben Forscher der University of Leicester bereits im Jahr 2014 in einer Studie vorgestellt.

Können zwei Fragen ein Alkoholproblem enttarnen?

Dazu werteten sie die Ergebnisse von 17 Studien aus der Primärversorgung aus, in denen die Wirksamkeit einzelner Fragen zum Alkoholkonsum analysiert wurden. Dabei kam heraus, dass eine Frage besonders zielführend ist: "Wie oft trinken Sie sechs oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit?"

Mit dieser Frage konnte eine Alkoholsucht mit einer Genauigkeit von 54,5 Prozent aufgedeckt und bei 87,3 Prozent der Patienten ausgeschlossen werden. Durch eine zweite Frage war es möglich, die Genauigkeit deutlich zu erhöhen. Ebenfalls als sehr treffsicher erwiesen sich die beiden Fragen "Haben Sie jemals morgens zuerst Alkohol getrunken, um sich nervlich zu stabilisieren oder den Start in den Tag zu erleichtern?" und "Ist aufgrund Ihres Alkoholkonsums im letzten Jahr etwas passiert, von dem Sie sich wünschen, dass es nicht passiert wäre?".

Wurden die Fragen negativ beantwortet, konnte ein Alkoholproblem besonders häufig zuverlässig ausgeschlossen werden.

Alkohol-Screenings: wirksam, aber selten eingesetzt

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Hat sich das Ergebnis der Studie in Arztpraxen als Standard etabliert? Professor Hans-Jürgen Rumpf leitet an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck eine Suchtforschungsgruppe. Er sagt: "Das Ziel ist natürlich immer, dass man mit möglichst wenigen Fragen der Fragebögen eine präzise Einschätzung bekommt. Zwei Fragen sind aber besonders kurz."

Kurz-Screenings würden generell nur selten Anwendung finden, wie Rumpf erklärt, der dazu geforscht hat. Und das, obwohl viele Ärzte sie als sinnvoll betrachten und Studien ihre Wirksamkeit in der hausärztlichen Versorgung belegen. Als Gründe nannten Ärzte neben dem Zeitmangel außerdem das Gefühl, nicht über genügend Fachwissen zu verfügen. Frühinterventionen bleiben häufig aber auch aus, weil viele ihren Alkoholkonsum verharmlosen oder falsch interpretieren.

Auch vielen Angehörigen gelingt es nicht, Betroffene davon zu überzeugen, sich professionell helfen zu lassen – sei es in der Hausarztpraxis oder bei einer Beratungsstelle, die häufig auch anonyme Unterstützung online oder telefonisch anbieten. In Anspruch genommen werden Hilfsangebote oft erst, wenn es nicht mehr anders geht.

Neue Ansätze im Umgang mit Alkoholproblemen

Muss vielleicht erst der persönliche Tiefpunkt erreicht werden, damit der Weg aus der Abhängigkeit beginnen kann? Rumpf erklärt: "Es gibt viele Studien, die belegen, dass es wirksam ist, das Thema frühzeitig anzusprechen. Es gibt gute Konzepte, um Menschen zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern. Eine Methode ist das Motivational Interviewing, die motivierende Gesprächsführung, mit der man vermeidet, dass Menschen sich diskriminiert fühlen."

Die motivierende Gesprächsführung zielt darauf ab, den Wunsch nach einer Veränderung aus eigenem Antrieb heraus zu fördern und das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken. Auch seriöse Digital-Angebote wie die digitalen Gesundheitsanwendungen "DIGA" hätten sich als wirksam erwiesen, so der Suchtforscher.

Rumpf zufolge ist es ebenfalls sinnvoll, ein mögliches Alkoholproblem bei einer Untersuchung nicht isoliert zu betrachten. So fühlt sich ein Patient nicht in die Ecke gedrängt. Mit einem Fragebogen, der bei der Anmeldung ausgehändigt wird und im Wartezimmer ausgefüllt werden kann, könnten alkoholbezogene Informationen ermittelt werden - ohne großen Zeitaufwand und ohne bedrohlich zu wirken. Dieser umfasst verschiedene Gesundheitsbereiche wie Bewegung, Ernährung, Rauchen und eben Alkohol.

Außerdem spricht Rumpf sich dafür aus, dass Ärzte im Studium und in der Facharztausbildung mehr über Verhaltensänderungen in Bezug auf Gesundheitsverhalten sowie über Gesprächsmethoden wie die motivierende Gesprächsführung lernen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene müsse ohnehin viel angestoßen werden.

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Mehr Schutz, weniger Diskriminierung

Rumpf und viele seiner Kollegen fordern von der Politik Maßnahmen zum Schutz vor zu hohem Alkoholkonsum und Diskriminierung von Suchterkrankten. "In Deutschland ist Alkohol sehr billig und rund um die Uhr zu erhalten – und Alkohol gehört eben auch zum Alltag. Wer bewusst auf Alkohol verzichtet, muss sich häufig rechtfertigen. Eine Forderung an die Politik ist, die Preise für Alkohol zu erhöhen und die Verfügbarkeit einzuschränken." Als Vorbild nennt er skandinavische Länder wie Schweden, in denen Alkohol nur in speziellen Geschäften verkauft wird und sehr teuer ist.

Auch die Werbung für Alkohol könnte eingeschränkt oder verboten werden. Um die Entstigmatisierung von Menschen mit Suchterkrankungen voranzutreiben, hat er zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie ein Manifest mit den wichtigsten Forderungen aufgestellt. Doch auch die Medien sieht er in der Pflicht, sensibel über Suchterkrankungen zu berichten und keine Begriffe zu verwenden, die abwertend oder stigmatisierend sind.

Ein Beispiel: Die Bezeichnung "Alkoholiker" reduziert einen Menschen auf die Alkoholabhängigkeit. Dadurch rückt in den Hintergrund, dass es sich um eine Erkrankung handelt, für die es Behandlungsoptionen gibt. Das Aktionsbündnis "Seelische Gesundheit" betont, dass gesundheitsfördernde Veränderungen nicht nur Alkoholabhängigen schwerfallen, sondern auch vielen Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes oder Asthma.

Ist das Feierabendbier problematisch?

Doch wo fängt problematischer Alkoholkonsum eigentlich an? Bereits beim abendlichen Bier? "Das Glas Bier oder Wein, um runterzukommen, kann ein Start zu mehr Konsum sein. Das ist aber nicht bei allen so, die meisten geraten nicht in die Sucht. Anfällig sind oft Personen, bei denen weitere destabilisierende Faktoren vorliegen, eine Depression oder der Verlust des Arbeitsplatzes beispielsweise", sagt Rumpf. Auch Menschen mit einer nicht behandelten ADHS haben ein größeres Risiko für Suchterkrankungen.

Das Gläschen Wein am Abend führt zwar selten in eine Abhängigkeit, ungesund ist es aber trotzdem. Die für gesunde Menschen lange als risikoarm eingestuften Tagesmengen von 12 Gramm Reinalkohol bei Frauen und 24 Gramm bei Männern gelten als wissenschaftlich überholt – ebenso die Annahme, ein moderater Alkoholkonsum könne sich positiv auf die Gesundheit auswirken.

Neue Forschungen belegen: Es gibt keine gesundheitlich unbedenkliche Menge an Alkohol. Jedes alkoholische Getränk ist – unabhängig vom Preis und der Qualität des Produkts – mit einem Krebsrisiko verbunden, das mit steigendem Konsum zunimmt. "Den Alkoholkonsum zu reduzieren ist immer gut", so Rumpf. "Der gesündeste Weg ist, ganz auf Alkohol zu verzichten."

Über den Experten

  • Prof. Hans-Jürgen Rumpf ist Psychologe und leitet an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck eine Suchtforschungsgruppe. Er beschäftigt sich mit substanzbezogenen Störungen und Verhaltenssüchten. In seiner Forschung arbeitet er mit internationalen Verbünden und Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen.

Verwendete Quellen