Es ist paradox: Noch nie war der gesundheitliche Zustand der Bevölkerung so gut wie gegenwärtig. Doch gleichzeitig sind die Gesundheitsängste auf einen Höchststand angestiegen. Zu diesem Ergebnis kommt das Buch "Gesundheitsängste", das der Sozial- und Organisationspsychologe Professor Dr. Hans-Wolfgang Hoefert aus Berlin gemeinsam mit Kollegen verfasst hat.
"Gesundheitsängste sind Ängste davor, die Kontrolle über die eigene Gesundheit zu verlieren", berichtet Hoefert. "Die Menschen haben Angst davor, die bisherige Gesundheit trotz aller Bemühungen nicht auf Dauer erhalten zu können oder bei wirklich schweren Krankheiten abhängig von Anderen zu werden."
Die Krebs-Angst rangiert dabei an erster Stelle, obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infektionskrankheiten die häufigsten Todesursachen sind und Krebs erst an dritter Stelle folgt. Warum die Menschen dennoch mehr Angst vor Krebs haben, erläutert Hoefert so: "In der Angst vor Krebs spiegelt sich die Möglichkeit des Kontrollverlusts besonders deutlich wider." Schließlich lauert die Krankheit im Hintergrund. Sie ist aggressiv und zerstörend. Damit bedroht sie "nicht nur die physischen, sondern auch die sozialen Lebensgrundlagen" des Patienten. Dem gesunden wie dem kranken Laien fällt es deshalb schwer, Krebs lediglich als regelwidriges Zellwachstum zu betrachten. Dabei ist die Sterblichkeit bei bösartigen Tumorleiden tendenziell rückläufig und wird allgemein überschätzt.
Hoefert hält viele Gesundheitsängste wie die große Angst vor Krebs für unbegründet. "Die Tatsache, dass wir alle im Laufe des letzten Jahrhunderts eine höhere Lebenserwartung gewonnen haben, länger fit und gesund sind und die Medizin relativ erfolgreich ist, sollte eigentlich optimistisch stimmen." Realistisch sind dagegen Gesundheitsängste im Hinblick auf stressbedingte Krankheiten wie Magen-Darm- Erkrankungen und diejenigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die zum großen Teil auf eine ungesunde Lebensweise mit zu fettem Essen und zu wenig Bewegung zurückzuführen sind.
Den Grund für die Gesundheitsängste sieht Hoefert deshalb nicht in der wirklichen Bedrohung durch Krankheiten, sondern in der "Entfremdung" des eigenen Körpers von sich selbst. "Nicht zuletzt durch die Medien wird ein vorzeigbarer, gesunder Körper zum Bewertungsmaßstab für die Wertschätzung eines Menschen", betont der Hochschullehrer. Ein guter Body-Mass-Index, gute Blutfettwerte oder generell Schlankheit würden mit Gesundheit gleichgesetzt. "Das Bedürfnis, sich so weit wie möglich an solche Gesundheitsnormen anzupassen, kann krankhafte Züge annehmen." Oft sind die Menschen dann so fixiert auf die erhobenen Werte, dass sie die natürliche Bandbreite dieser Werte nicht mehr beachten und vorschnell schlussfolgern, dass etwas mit ihrem eigenen Körper "nicht in Ordnung" ist.
Gerade diese Sorge kann zum Problem werden. Hoefert: "Beständiges Besorgtsein - aus welchem Grund auch immer - kann nicht nur die Lebensqualität beeinträchtigen, sondern zu ernsthaften organischen Auswirkungen beitragen. Besonders empfänglich dafür ist der Magen-Darm-Bereich, die Haut und das Herz-Kreislauf-System."
Allen ständig Besorgten rät Hoefert, dem Körper auch eine eigene Reparaturfähigkeit zuzutrauen. "Natürlich sollte man keineswegs irgendwelche Symptome übersehen, aber, wenn sie nicht dramatisch sind, kann der Betroffene erst einmal abwarten, ob sich nicht eine Besserung von selbst einstellt."
Tauchen Ängste bereits bei harmlosen Körpererscheinungen und vor allem dauerhaft auf, empfiehlt der Psychologe eine kognitive Verhaltenstherapie. "Die Patienten lernen dabei auch, dass sich Gesundheit nicht 'erzwingen' lässt, sondern ein wünschenswerter Zustand ist. Er stellt sich ein, wenn sie zumindest die wichtigsten Grundsätze einer gesunden Lebensführung beherzigen, nicht aber auf alle möglichen Normen für jede nur denkbare Körperfunktion fixiert sind."
Literaturtipp:
Hans-Wolfgang Hoefert, Christoph Klotter (Hrsg.): Gesundheitsängste, Pabst, Lengerich/Berlin 2012, 324 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-89967-755-3
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