Haben Sie schon einmal von dem Alice-im-Wunderland-Syndrom oder der Alien-Hand gehört? Nein? Das liegt wahrscheinlich daran, dass diese Erkrankungen zum Glück zu den seltenen Krankheiten gehören.
Pro Monat werden weltweit zwei neue Krankheiten entdeckt – die meisten davon gehören zu den seltenen Erkrankungen. "Selten" bedeutet in diesem Fall, dass jeweils weniger als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Tragischer Weise sind die Leidtragenden meist Kinder, da der überwiegende Teil dieser Krankheiten durch Gen-Defekte verursacht wird.
Einige der seltensten (mitunter kurios anmutenden) Erkrankungen der Welt, finden Sie auf den nächsten Seiten.
Der Baum-Mann
Eine kleine Wunde am Knie, die sich Dede Koswara (38) im Alter von 15 Jahren auf einer Baustelle zuzog, veränderte sein ganzes Leben. Seit diesem Tag wachsen dem Indonesier, der in den Medien als "Baum-Mann" Schlagzeilen machte, rindenartige Warzen am ganzen Körper. Vor allem Dedes Hände und Füße sind von den merkwürdigen Auswucherungen betroffen. Es scheint, als sprießen Äste und Wurzeln aus seinen Gliedmaßen.
Experten gehen davon aus, dass ein Gen-Defekt die Ursache dieser seltenen Hautkrankheit des Indonesiers ist. Dedes Körper kann demnach keine Abwehrstoffe gegen die Warzen verursachenden humanen Papillom-Viren bilden, sodass diese ungehindert am ganzen Körper wuchern können. Selbst Medikamente sind leider wirkungslos.
Im August 2008 wurde Dede in den USA erstmals operiert. Insgesamt sechs Kilo dieser Warzenwucherungen entfernten die Ärzte bei dem Eingriff - und machten dem 38-Jährigen damit Hoffnung auf ein fast normales Leben. Doch zwei Operationen pro Jahr muss Dede Koswara bis zu seinem Lebensende über sich ergehen lassen.
Gigantomastie
Was auf den ersten Blick eher kurios wirkt, machte Julia María Manihuari (30) aus Peru jahrelang das Leben zur Hölle. Die junge Frau litt unter einem zuletzt 12 Kilogramm schweren Riesen-Busen.
Das Phänomen der bis auf eine enorme Größe unaufhörlich wachsenden Brust, kennen Mediziner unter dem Begriff Gigantomastie. Ausgelöst wird diese seltene Krankheit überwiegend durch hormonelle Schwankungen in der Pubertät oder während der Schwangerschaft.
So wie bei Julia María Manihuari. Nach der Geburt ihres dritten Kindes, wurde der Busen der 30-jährigen Peruanerin Tag für Tag größer und hörte nicht mehr auf zu wachsen. Rund sieben Jahre später wog ihre linke Brust schließlich fünf, die rechte sogar sieben Kilogramm. Julia konnte nur noch sitzen oder liegen. Im Liegen jedoch drückte der 12 Kilo schwere Busen so stark auf ihren Brustkorb, dass sie kaum Luft bekam.
Vor einem Jahr dann konnte die Peruanerin mit Hilfe von Spendengeldern endlich operiert und von ihrer enormen Last befreit werden. Statt eines N-Körbchens trägt Julia heute ein ganz normales B-Körbchen.
Werwolf-Syndrom (Hypertrichose)
Ihr ganzer Körper ist von einem dichten, langen Fell bedeckt – wie bei einem Wolf. Seit dem Mittelalter sind bis heute lediglich 50 dieser so genannten "Wolfsmenschen" dokumentiert. Die Betroffenen sind oftmals im ganzen Gesicht, mitunter auch am ganzen Körper übermäßig stark behaart. Ursache für die in der Medizin als "Hypertrichose" bezeichnete Erbkrankheit ist ein mutiertes X.Chromosom, das die für den Haarwuchs verantwortlichen Gene beeinflusst. Experten schätzen die Häufigkeit dieses Gen-Defekts jedoch nur auf eins zu einer Milliarde.
Abgesehen von dem unnatürlich starken Haarwuchs sind die von dem Werwolf-Syndrom betroffenen Personen völlig gesund und haben eine normale Lebenserwartung.
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom
Das Kinderbuch „Alice Im Wunderland“ von Lewis Carroll lieferte den Namen für dieses Krankheitsbild.
Das "Alice-im-Wunderland-Syndrom" tritt meist als Begleiterscheinung einer Migräneattacke oder eines epileptischen Anfalls auf und führt zu einer veränderten Wahrnehmung der Umgebung. Ähnlich wie bei Alice, wenn sie von einem Zauberpilz isst und infolgedessen schrumpft oder zu einem Riesen heranwächst, erscheinen den Betroffenen plötzlich Gegenstände verkleinert oder vergrößert und sie beginnen, phantastische Bilder zu sehen. Auch Hör- und Tastsinn sowie das Zeitempfinden können gestört sein.
Gerüchten zufolge sollen solche halluzinatorischen Erfahrungen auch dem Kinderbuchautor Lewis Carroll, der selbst unter Migräne litt, als Inspiration für sein berühmtes Buch gedient haben.
Die Ziegen-Frau
Einhorn, Teufelstochter, Ziegen-Frau – so wird die 101 Jahre alte Zhang Ruifang in dem kleinen chinesischen Dorf Linlou in der Provinz Henan von Bewohnern seit einem guten Jahr gerufen. Der Grund: aus der linken Stirnseite der Chinesin ragt ein sechs Zentimeter langes Horn – ein zweites kündigt sich bereits auf der rechten Seite an.
Die Greisin hatte zunächst nur eine kleine Hautirritation auf ihrer Stirn bemerkt und sich nichts weiter dabei gedacht. Doch innerhalb weniger Monate wuchs diese kleine Erhebung zu einem dunklen Horn an.
Um was es sich bei dieser merkwürdigen Wucherung genau handelt, ist bislang unklar. Mediziner gehen von Hautkrebs aus. Es könnte sich aber auch um ein so genanntes "Hauthorn" handeln, eine Irritation in Folge von verdichtetem Keratin. Dieses Faserprotein kommt bei Menschen in Fingernägeln und Haaren vor. Bei Tieren sorgt es für die Horn-, Woll- und Federbildung.
Solche Hauthörner sind vor allem bei älteren Frauen mit heller Haut zu beobachten, die häufig der Sonne ausgesetzt waren – allerdings sind "gewöhnliche" Hörner meist nur wenige Millimeter lang.
Das Alien-Hand-Syndrom (AHS)
Wenn der Feind man selbst ist: Menschen, die am Alien-Hand-Syndrom leiden, kann es schon mal passieren, dass sie sich ins Auge stechen, mitten in der Fußgängerzone die Hose öffnen oder im extremsten Fall versuchen, sich selbst zu erwürgen. Natürlich alles ungewollt und unbeabsichtigt. Schuld an diesem merkwürdigen Verhalten ist vielmehr eine neurologische Störung namens "Alien-Hand-Syndrom".
Nach einem Schlaganfall, einer Hirn-Operationen oder nach Infektionen kann es passieren, dass Personen die Bewegungen ihrer Hand nicht mehr bewusst steuern können, sie vielmehr ein Eigenleben entwickelt – so als wäre sie fremdgesteuert (das englische Wort "Alien" bedeutet übersetzt "fremd").
Oftmals verschwindet dieses Syndrom nach wenigen Wochen wieder. Manchmal kann es jedoch auch jahrelang anhalten.
Das Neonatal Progerie Syndrom (NPS)
Dass Lizzie Velasquez krank ist, sieht man der amerikanischen Studentin gleich an: bei einer Körpergröße von 1,57 Meter wiegt die 22-Jährige gerade mal knapp 27 Kilogramm. Doch Lizzie leidet nicht etwa an Magersucht. Die junge Frau ist einer von weltweit drei Menschen, die unter dem "Neonatal Progerie Syndrom", kurz NPS leiden.
Die extrem seltene Stoffwechselerkrankung lässt den Körper schneller altern und beschleunigt den Fettabbau rasant. Um überhaupt zu überleben, muss Lizzie alle 15 Minuten essen – am besten extrem kalorienreiche Lebensmittel wie Schokolade, Eiscreme, Pizza, Nudeln oder Torte. Rund 8.000 Kalorien nimmt die Amerikanerin in 60 kleinen Mahlzeiten am Tag zu sich - und hat dennoch einen Körperfettanteil von null Prozent.
Eine Heilung für die extrem untergewichtige Lizzie ist bislang nicht in Sicht, denn noch gibt es zu wenige Erkenntnisse über diese seltene Stoffwechselstörung.
Wer selbst von einer seltenen Krankheit betroffen ist, findet seit Mai 2011 Informationen und Hilfe auf der von Wissenschaftlern der Uni Nürnberg eingerichteten Internetplattform www.gemeinsamselten.de. Die Berliner Charité hat Anfang des Jahres sogar ein Zentrum speziell für seltene Erkrankungen eröffnet (http://bcse.charite.de).
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