Sie ist Ärztin und Journalistin und klärt sowohl in ihren Social-Media-Videos als auch im TV auf humorvolle Art und Weise über Tabuthemen auf. Vom Pupsen über Hämorrhoiden bis zu Inkontinenz: Die Medizinerin Julia Fischer spricht die Dinge aus, die viele Menschen bewegen, über die sich aber kaum jemand zu reden traut.
Sie sind nicht nur Medizinerin, sondern auch Journalistin. Warum ist das für Sie der perfekte Berufsmix?
Julia Fischer: Ich habe ein multimediales Volontariat an einer Journalistenschule absolviert. Dort habe ich Print/Online, Radio sowie Video/TV-Journalismus gelernt. Es war ein Allround-Ding. Dieses Volontariat hat mich wirklich gut auf die Medienwelt vorbereitet. Aus heutiger Sicht finde ich es sehr wertvoll, dass ich sowohl in der Medizin als auch in der Welt der Medien gehen gelernt habe. Mir ist es wichtig, gute Wissensvermittlung mit Storytelling zu verbinden. Meines Erachtens ist dies der beste Weg, Menschen Informationen zu vermitteln.
Im SWR läuft "Doc Fischer" mit Ihnen, im WDR "Doc Esser". Auch
Für meinen Geschmack kann es gar nicht genug Medizin im Fernsehen geben. Menschen, die evidenzbasiert, verständlich und unterhaltsam Gesundheitsinformationen vermitteln, halte ich für sehr wertvoll. Gesundheit ist das wichtigste Thema, das wir in unserem Leben haben. Darüber genau Bescheid zu wissen, ist ein hohes Gut – zumal in den Sozialen Medien immer mehr gefährliche Fehlinformationen verbreitet werden. Umso wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die all diese Dinge faktenbasiert einordnen und eine Orientierung bieten.
Sehen Sie in Eckart von Hirschhausen eine Art Vorreiter, der Ihnen sowie weiteren Medizinern und Medizinerinnen den Weg ins TV geebnet hat?
Wenn es um Vorreiter und Vorreiterinnen geht, denke ich zunächst an Antje-Katrin Kühnemann, Marianne Koch oder Susanne Holst – also an Frauen, die bereits in den 70ern, 80ern und 90ern im Fernsehen medizinische Aufklärung betrieben haben. Eckart hingegen ist ein Vorreiter, was die Verbindung von Medizin und TV-Unterhaltung angeht. Da auch ich genau dafür stehe, war er für mich schon ein Stück weit ein Wegbereiter.
Sie sind auch gemeinsam mit Ihrer Kollegin Yael Adler gegen den "Quizduell-Olymp" angetreten (noch abrufbar in der ARD-Mediathek; Anm.d.Red.). Auch mit ihr haben wir im Vorfeld sprechen dürfen und erfahren, dass sie sich selbst als "Fachidiotin" bezeichnet. Ticken Sie da ähnlich?
Ja, auch ich bin ein Stück weit eine Fachidiotin. Sowohl meine Kollegin als auch ich beschäftigen uns mit einem breiten Bereich in der Medizin – von Ernährung und Bewegung über Haut und Haare bis hin zu allem, was mit den Organen zu tun hat. Daher trifft es auch auf mich zu, dass ich gewisse Bereiche links und rechts davon nicht so gut im Blick habe.
Haben Sie denn zumindest auf jede medizinische (Quiz-)Frage eine richtige Antwort parat?
Nicht immer. Zum Beispiel wurden wir in der Sendung gefragt, wie sich männliche Pupse von weiblichen Pupsen unterscheiden. Die angebliche Lösung war, dass die Pupse von Frauen mehr stinken. Ich habe dafür bis jetzt allerdings noch keine Nachweise gefunden. Insofern frage ich mich, ob das wirklich stimmt. Es gibt aber in der Tat einige medizinische Fragen, die auch Ärzte nicht beantworten können.
An welche Fragen denken Sie?
Vor allem an Fragen, die die Zukunft der Menschheit betreffen. Zum Beispiel: Wann ist Krebs heilbar? Oder: Wie alt kann der Mensch werden? Aber auch Fragen wie "Welchen Effekt hätte es für mich, wenn ich mich ausschließlich von Gemüse ernähren würde?" lassen sich pauschal so nicht beantworten. Natürlich wissen wir, dass Gemüse wahnsinnig gesund ist. Aber ob das ausreicht, um ein Leben lang gesund zu bleiben, kann man nicht sagen. In vielen Fällen können wir Mediziner zwar Tendenzen beschreiben, aber hundertprozentige Antworten können auch wir nicht immer geben.
Was dürfen wir von Ihnen neben medizinischen Tipps, Büchern und der Teilnahme an einer Quizshow in der Zukunft erwarten?
Aktuell arbeite ich an der Umsetzung eines Podcasts, die Konzeption rückt näher. Aber auch auf eine Bühnenshow hätte ich mal große Lust. Es gibt kaum einen besseren Ort, um den Unterhaltungsansatz ausleben zu können. Ich interagiere wahnsinnig gerne mit Menschen, wie ich im Rahmen meiner Buchlesungen feststellen durfte. In Sachen Moderation würde ich ergänzend zum klassischen Gesundheitsmagazin gerne weitere Formate annehmen – von Dokus über Talkshow bis hin zu Quizshows.
Welche medizinische Frage würden Sie den Kandidaten und Kandidatinnen in Ihrer eigenen Quizshow unbedingt stellen wollen?
Da fallen mir mit Blick auf Tabuthemen zwei Quizfragen ein. Die erste lautet: Wie heißt das äußere Geschlechtsorgan der Frau, das die Schamlippen und die Klitoris umfasst?
Welche Antwortmöglichkeiten gibt es?
Nur zwei. Ist das a) die Vulva oder b) die Scheide beziehungsweise Vagina?
Da wäre ich bei Vulva.
Richtig. Jetzt wird’s schwieriger. Wie groß ist die Klitoris im Durchschnitt – a) ein Zentimeter, b) vier Zentimeter, c) sieben Zentimeter oder d) zehn Zentimeter?
Ich bin überfragt, würde mich irgendwo auf die goldene Mitte festlegen wollen.
Tatsächlich wäre d) richtig gewesen. Es sind neun bis zwölf Zentimeter. Das ist doch ein schöner Fun-Fact, wenn man bedenkt, dass die Länge des männlichen Geschlechtsorgans immer wieder mal ein Thema ist, während man so gut wie nie über die Größe des weiblichen Geschlechtsorgans spricht.
Sie sprechen via Social Media auf sehr humorvolle Art und Weise über medizinische Themen. Weil für Sie Lachen tatsächlich die beste Medizin ist?
Lachen ist definitiv eine großartige Medizin. Wir wissen, dass der Körper mit Glückshormonen geflutet wird, wenn wir lachen. Es stärkt sowohl das Herz-Kreislaufsystem als auch das Immunsystem. Und es macht Spaß. Zudem habe ich das Gefühl, dass ich viel näher an den Leuten dran bin, wenn ich witzig aufkläre. Ich sehe mich eher als gute und authentische Freundin, als eine im weißen Kittel gekleidete Eminenz, die von oben herab etwas doziert. Der erhobene Zeigefinger ist meiner Meinung nach nicht zielfördernd. Besser ist es, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen auf diese Weise etwas mitzugeben.
Sie schrecken auch vor Tabuthemen nicht zurück. Wie viele Menschen haben sich bei Ihnen bedankt, weil Sie ihnen erklärt haben, dass bis zu 30 Pupse am Tag normal sind?
Reaktionen dieser Art hat es durchaus gegeben. Übrigens habe ich bereits im Vorfeld einem guten Freund von meiner Idee erzählt, ein Video zum Thema Pupsen aufzunehmen. Auch ihm konnte ich letztendlich die Sorge, dass er eventuell zu viel pupsen würde, nehmen (lacht). Wenn Leute auf mich zukommen und mir sagen, dass ich ihnen helfen konnte, empfinde ich das als einen schönen Lohn für meine Arbeit.
Welche Reaktionen haben Sie besonders gefreut oder auch nachdenklich gemacht?
Neulich hat mir eine Frau auf der Straße gesagt, dass ich ihr Leben zu einem besseren gemacht habe. Besonders gerührt hat mich die Nachricht eines "Doc Fischer"-Zuschauers, der auf unseren Beitrag mit dem Fokus "Neue Krebstherapien" hin seinen Arzt gewechselt und eine neue Therapie bekommen hat. Heute gilt er als geheilt. Bei dieser Geschichte habe ich Gänsehaut bekommen.
Würden Sie jedem Menschen raten, den Arzt zu wechseln, wenn man unsicher ist?
Absolut. Man hat immer das Recht auf eine Zweitmeinung. Die Krankenkassen tragen das. Jedem, der Zweifel hat, würde ich dringend empfehlen, einen weiteren Arzt aufzusuchen und zu befragen.
Wir Menschen neigen dazu, dass uns vieles peinlich ist, was den eigenen Körper betrifft. Haben Sie den Eindruck, dass wir langsam lockerer im Umgang mit vermeintlichen Tabuthemen werden?
Ich glaube, dass wir so langsam ein kleines bisschen besser werden. Dennoch liegt diesbezüglich noch eine Menge Arbeit vor uns. Offensichtlich ist es tief in unserer Gesellschaft verankert, dass uns alles, was mit nackter Haut, Geschlechtsorganen oder auch komischen Geräuschen zu tun hat, peinlich ist. Genau darin steckt aber eine große Gefahr. Wir müssen viel mehr darüber reden, denn unser Körper ist einfach großartig. Niemand braucht sich dafür zu schämen. Nur wenn wir darüber sprechen, kann – sollte tatsächlich ein Problem vorliegen – frühzeitig mit der richtigen Behandlung begonnen werden. Ich rate dazu, sämtliche Tabus aus dem Weg zu räumen.
Beginnt diese Tabuisierung bereits in der Kindheit – zum Beispiel, wenn Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder verniedlichende Begriffe wählen?
Ich bin selbst Mutter und auch bei uns zu Hause wird "Pipi" und "Kacka" gesagt – und eben nicht "Urinieren" oder "Stuhlgang". Solange man nicht total verkrampft an die Sache herangeht oder Dinge verheimlicht, ist alles in Ordnung. Wobei meine zweieinhalbjährige Tochter ganz selbstverständlich weiß, was eine Vulva und was eine Scheide ist. Meiner Meinung nach gehört das zu einem selbstbewussten und unverkrampften Umgang mit dem eigenen Körper dazu. Da muss man kein Blatt vor den Mund nehmen.
Welches sind die größten medizinischen Tabuthemen – neben dem Pupsen?
Tabuthemen, über die wir unbedingt mehr reden sollten, weil sie großes Leid verursachen können, sind Hämorrhoiden und Inkontinenz. Beide Symptomkomplexe treffen ab einem gewissen Alter einen nennenswerten Teil der Bevölkerung. Das Alter ist nicht einmal hoch. Bereits ab 30 Jahren sind viele Menschen davon betroffen. Es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten. Je früher man darüber spricht, desto früher kann damit begonnen werden. Ebenso sind psychische Krankheiten nach wie vor viel zu krass tabuisiert. Ist es nicht seltsam, dass wir es als völlig normal empfinden, dass unsere Zähne mit dem Alter schlechter werden, während unser Gehirn von den Härten des Lebens nicht eine einzige Wunde davongetragen haben soll?
Ist Ihnen persönlich wirklich gar nichts unangenehm?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man über alles reden kann und sollte. Aber natürlich gibt es die Kategorie "too much information". Bestimmte Sachen will man nicht unbedingt im Detail wissen. Insofern ziehe ich schon bei jedem Thema, das ich aufmache, eine Grenze. Ich versorge die Menschen im Netz mit wichtigen Informationen zu einem bestimmten Thema – alles, was darüber hinausgeht, kann jeder persönlich mit seinem Arzt besprechen. Einen kategorischen Strich ziehe ich aber nicht.
Haben Sie es – insbesondere mit Blick auf die erwähnten Tabuthemen – häufig mit Hasskommentaren zu tun?
Nein. Lassen wir einmal die Corona-Zeit außen vor, in der sogar Morddrohungen in die Kommentarfelder geschrieben worden sind, bekomme ich in der Regel positives Feedback. Die Leute sind dankbar dafür, dass man über Tabuthemen informiert und spricht. Schwierig wird es mitunter, wenn es um das Thema Schwangerschaft beziehungsweise um die Veränderung des Körpers nach der Stillzeit geht. Ich finde es erschreckend, wie sich Frauen teilweise gegenseitig in den Kommentaren behandeln. Dieses gegenseitige "Shaming" empfinde ich als unangenehm.
Sie moderieren auch die Sendung "ARD Gesund": Wie gesund ist eigentlich Sex?
Sex ist super gesund. Wenn wir Sex haben und zum Orgasmus kommen, wird unser Körper von einem Cocktail aus Hormonen geflutet. Vor allem Glückshormone, Endorphine und das Oxytocin kommen hier zum Tragen. Letzteres ist unser Bindungshormon, das wirklich faszinierend ist. Zum einen macht uns Oxytocin einfühlsamer und steigert das Vertrauen zu unserem Partner, zum anderen reduziert es Stress, stärkt die Gefäße und unser Immunsystem. Sex hilft gegen Kopfschmerzen und wir können danach besser schlafen. Menschen, die regelmäßig Sex haben, reagieren zudem in stressigen Situationen entspannter.
Gibt es auch zu viel Sex?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber ich erinnere mich an eine Studie, aus der hervorgegangen ist, dass mehr als zweimal Sex die Woche nichts bringt. Wenn man Sex also unter dem gesundheitlichen Aspekt betreiben möchte, dann reicht zweimal die Woche (lacht).
Sex ist also gesund. Wie ungesund ist hingegen Alkohol?
Leider ist Alkohol wirklich total ungesund. Es gibt keine Dosis, in der Alkohol als unbedenklich gilt. Nachweislich erhöht der Konsum von Alkohol das Risiko für viele Krankheiten erhöht, darunter Krebs. Streng genommen sollten wir also alle die Finger davon lassen. Allerdings wissen wir auch, dass wir das nicht tun werden.
Wie viel Alkoholkonsum ist noch im Rahmen?
Es gibt gewisse Höchstgrenzen. Frauen sollten nicht mehr als ein kleines Glas Wein (0,1 Liter) pro Tag zu sich nehmen und mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einlegen. Bei Männern spricht man von maximal zwei kleinen Gläsern Bier (also insgesamt 0,6 Liter) pro Tag.
Was sollte man im Alltag beachten, um wirklich gesund zu leben?
Das Gute ist: Man muss nicht den neuesten Diät-Hypes hinterherrennen, um gesund leben zu können. Es ist viel einfacher. Im Grund genommen braucht man sich nur sechs Dinge zu merken.
- Erstens: Eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung.
- Zweitens: Ausreichend bewegen.
- Drittens: Ausreichend schlafen.
- Viertens: Möglichst auf Alkohol verzichten.
- Fünftens: Auf Zigaretten verzichten.
- Sechstens: Sich mit Menschen umgeben, die einen glücklich machen. Auch das hält gesund.
Über die Gesprächspartnerin
- Dr. Julia Fischer ist eine deutsche Ärztin und Journalistin. In ihren TV-Formaten "ARD Gesund“ und „Doc Fischer" (im SWR) klärt die Fernsehmoderatorin rund um das Thema Gesundheit auf. Insbesondere medizinischen Tabuthemen hat sich die gebürtige Aachenerin verschrieben. Ihre Expertise kombiniert sie über ihre Social-Media-Kanäle häufig mit humorvollen Beiträgen. Zudem ist Dr. Fischer als Autorin ("What a feeling!") tätig.
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