TikTok ist umstritten. In den USA soll der Dienst aus den App-Stores verschwinden, wenn er nicht aus chinesischer Hand gegeben wird. In Europa hat man Probleme mit dem Jugendschutz. Dennoch ist der Dienst der zentrale Kommunikationskanal der Jugend und der Präsident der USA nutzt ihn für die Wähleransprache. Auch der Bundeskanzler ist dort seit April 2024 aktiv. Was ist davon zu halten und soll man TikTok noch nutzen?
Die Bildungssenatorin von Berlin hat kürzlich vor einem "Vergewaltigungs-Tag" von TikTok an den Schulen der Hauptstadt gewarnt. Auf der App wird zum "National Rape Day" (Nationaler Vergewaltigungs-Tag) aufgerufen. Die Inhalte, die TikTok hier zulässt, sind unfassbar widerlich.
Insgesamt wird auf TikTok zum Beispiel per Schmink-, Tanzvideos und Filmchen kommuniziert, die Kinder zum Verzehr gesundheitsgefährdend scharfer Chips herausfordern. Es werden Trends und Challenges innerhalb weniger Stunden millionenfach geteilt. Je mehr Nutzer auf ein Video reagieren, desto häufiger wird es auf der personalisierten Startseite der TikTok-Nutzer vorgeschlagen.
Wie genau Videoqualität, Likes und Hashtags zu einer hohen Reichweite führen, bleibt das Geschäftsgeheimnis der chinesischen Plattform. Bekannt ist, dass der Algorithmus diskriminierende Inhalte schneller und häufiger teilt als der Algorithmus anderer Social-Media-Plattformen.
Jugendschutzprobleme in Europa
Auch in Europa lieben vor allem Jugendliche TikTok. In Frankreich und Spanien bietet der Dienst eine Lite-App an. Man bekommt Punkte für das Abonnieren von Kanälen oder das Anschauen von Videos und kann die Punkte in Gutscheine umtauschen. Darin steckt für die EU-Kommission gesundheitsgefährdendes Suchtpotential, mit dem Jugendliche an den Dienst gefesselt werden sollen.
Weil TikTok nun eine Risikoeinschätzung für "TikTok Lite" vorgelegt und das Belohnungssystem der App ausgesetzt hat, kann alles geprüft werden und Sanktionen der EU wie Strafzahlungen oder gar ein Abschalten sind zunächst einmal vom Tisch. Allerdings bleibt das Thema relevant. Gegen TikTok läuft ein Verfahren wegen möglicher Suchtgefahren für Minderjährige auch wegen der Ausgestaltung der Standardversion.
In der EU will man die Gefahren durch Onlinedienste wie Facebook & Co. durch das Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) bekämpfen. Danach müssen Minderjährige besser geschützt und verbotene Inhalte wie Gewaltdarstellungen oder Falschinformationen schnell gelöscht werden.
Sorge wegen China in den USA
In den USA steht ein anderes Problem mit TikTok im Vordergrund. Man befürchtet, dass die Daten der US-Nutzer in die Hände des chinesischen Staates gelangen. Bytedance, der Betreiber von TikTok sei dem Willen der Kommunistischen Partei Chinas unterworfen. Der Konzern wiegelt ab, verweist auf den Firmensitz in der Karibik und darauf, dass er zu 60 Prozent westlichen Investoren gehöre.
Im Detail ist manches unklar und die Gerichte in den USA müssen den Plan des Gesetzgebers rechtlich billigen. Er lautet: TikTok soll unter die Kontrolle der USA gebracht werden. Entweder der Dienst wird binnen eines Jahres vom Konzern Bytedance verkauft oder die App darf in den App-Stores der USA nicht mehr angeboten werden. In anderen Staaten ist TikTok schon verboten.
Soll man TikTok nutzen?
Aber soll man TikTok denn überhaupt noch nutzen? Als Unternehmen und Bürger darf man sich seinen Kommunikationskanal aussuchen. TikTok trifft den Nerv der Zeit und wer die Menschen erreichen will, der kommt an dem Angebot aus China kaum vorbei, denn da spielt sich viel Leben in der Digitalisierung ab.
Wer als Erwachsener ohne Challenges und Tanzvideos leben kann, der kommt auch ohne TikTok klar. Bei Kindern und Jugendlichen ist das oft anders. Sie tauschen sich dort intensiv aus. Wenn Eltern ihren Kindern den Dienst verbieten wollen, dann mag das bis zu einem gewissen Alter möglich sein. Danach stellt ein elterliches Verbot oft eher einen Anreiz zum Übertritt dar, als ein Mittel, Enthaltsamkeit zu erzeugen.
Die zivilisatorischen Risiken nehmen Jugendliche eben auf ihre eigene Weise wahr. TikTok macht Spaß, tut nicht weh, kostet nichts und alle sind dabei. Wo ist das Problem?
Staat und TikTok
Blicken wir auf die staatliche Nutzung. Alle Bedenken hindern viele staatliche Einrichtungen in aller Welt nicht daran, die Plattform zu nutzen. Auch Joe Biden nutzt TikTok für den Wahlkampf, auch wenn der Dienst nicht auf Diensthandys genutzt werden darf.
Der Bundeskanzler setzt seit April 2024 auf TikTok und hat mittlerweile 125.000 Follower. Das ist nicht schlecht, aber um zum französischen Präsidenten aufzuschließen, muss er sich anstrengen. Emmanuel Macron ist mit 4,2 Millionen Followern ein Social-Media-Profi. Auf dem Weg zum Influencer könnten den Kanzler aber rechtliche Hindernisse stoppen. Worin könnten sie bestehen?
Der Kanzler beruft sich bei der Nutzung von TikTok auf seinen verfassungsrechtlichen Auftrag, junge Menschen über sein Handeln informieren zu müssen. Darf er das oder steht der zeitgemäßen Kommunikation seine politische Neutralitätspflicht als Staatsorgan entgegen?
Dass es zur Aufgabe der Bundesregierung gehört, Bürger über Entscheidungen und Maßnahmen zu informieren, hat das Bundesverfassungsgericht schon in den 1970er-Jahren entschieden. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung findet danach ihre Grenzen, wenn deren Äußerungen die politische Willensbildung erkennbar beeinflusst. Zudem darf nicht auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt werden.
Information über Regierungsarbeit
Unter Berufung auf Karlsruhe hält der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, "dass Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften in Grenzen notwendig ist, um den Bürgern die für die Wahrnehmung ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten erforderlichen Informationen zu vermitteln. So bleibt es Regierungen unbenommen, Vorhaben und die durchgeführten Maßnahmen gegenüber der Öffentlichkeit unter Einsatz staatlicher Mittel darzustellen, soweit es sich hierbei um 'sachgerechte, objektiv gehaltene Information' handelt." Die Regierung darf und muss ihr Handeln also gegenüber der Öffentlichkeit erklären und das natürlich auch so, dass sie die Menschen erreicht.
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Die Grenze des Erlaubten markiert die Neutralitätspflicht. Einen Verstoß dagegen nahm Karlsruhe etwa an, als Angela Merkel als Bundeskanzlerin sich im Jahr 2020 zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen äußerte. Darum geht es aktuell nicht. Der Bundeskanzler zelebriert seine Aktentasche und Bayerns Ministerpräsident Söder etwa unter #Döner seine Essensvorlieben.
So kann man den politischen Willen des Volkes nicht neutralitätswidrig beeinflussen. Auch verlässliche Informationen aus erster Hand, um Fakenews entgegenzuwirken, verbreitet man mit Stories über Döner und Aktentasche nicht. Ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität, wie der ehemalige Chef der Datenschutzaufsicht von Baden-Württemberg Stefan Brink meint, ist dem Bundeskanzler nicht vorzuwerfen, solange er parteikritische Äußerungen unterlässt.
Daten an den chinesischen Staat?
Aber ist es denn in Ordnung, wenn ein Verfassungsorgan Nutzer auf ein soziales Netzwerk lockt, deren Daten möglicherweise bei der chinesischen Regierung landen? Hier muss man ernste Bedenken anmelden, wie es die USA tun, auch wenn das staatliche Verbot des einzigen Dienstes in den USA, der nicht inländisch ist, zu Recht rechtlich hinterfragt werden dürfte.
Der US-Präsident und das Bundespresseamt begegnen Sicherheitsbedenken damit, dass sie ein Smartphone ohne Behördenzugang nutzen. Dass der Staat die private Anmeldung eines Behördenmitarbeiters nutzt, um dem Kanzler eine Stimme zu verleihen, ist ein Taschenspielertrick und ähnlich fragwürdig, wie wenn sein chinesischer Fahrer den Kanzler mit seinem privaten Fahrzeug kutschiert.
Wenn, dann muss der Staat auch selbst für die Nutzung einstehen. Hoffentlich bedeutet die Flucht aus dem amtlichen Account nicht, dass das benutzte Smartphone weniger geschützt ist. Ein Hack mit feindlicher Übernahme des Accounts hätte möglicherweise üble Folgen, wie die Verbreitung manipulierter TikTok-Videos des Kanzlers. Sie würden über den Algorithmus innerhalb weniger Stunden millionenfach geteilt werden können.
Datenschutzverstöße von TikTok
Auch Datenschützer kritisieren das soziale Netzwerk aus China zu Recht. Es hat sich im September 2023 von der irischen Datenschutzbehörde ein Bußgeld in Höhe von 345 Millionen Euro eingehandelt. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat ein Problem mit der Facebook-Fanpage des Bundespresseamtes. Er hat sie verboten, weil Meta ohne Rechtsgrundlage Cookies setzt und damit gegen europäisches und deutsches Datenschutzrecht verstößt.
Bei Facebook und dem Bundespresseamt stellen sich dieselben Rechtsfragen wie bei TikTok und dem Kanzler. Beide Dienste bieten Profilinhabern "Insights" an. Wer für den Inhalt verantwortlich ist, kann dieser statistischen Auswertung entnehmen, von welchem Standort aus Nutzer die Beiträge ansehen und wie deren Altersstruktur ist.
"Da der Bundeskanzler die statistische Analyse deaktiviert hat und auch keinem anderen TikTok-Kanal folgt und seine Nutzer in den Datenschutzhinweisen zum TikTok-Kanal informiert, hat er gute Argumente, sich datenschutzrechtlich korrekt zu verhalten", sagt Verwaltungsrichterin Kristin Benedikt, die zuvor bei der bayerischen Datenschutzaufsicht für den Onlinedatenschutz zuständig war. Ein Datenschutzverstoß von TikTok ist also nicht gleich auch einer des Kanzlers.
Per TikTok den Populismus bekämpfen?
"Time to say Good Bye, TikTok?" Fassen wir die Argumente zusammen: Für Bürger und Unternehmen ist die Kommunikation per TikTok Privatangelegenheit. Man darf nutzen, was einem gefällt. Eltern haften für ihre Kinder, bis sie es selbst müssen. Auch für den staatlichen Einsatz ist TikTok nicht verboten.
Der mögliche Abfluss der Daten an den chinesischen Staat ist aber ein ebenso massives Problem wie Verstöße gegen den Jugendschutz. Dass der Betrieb von TikTok für das Unternehmen gegen das Datenschutzrecht verstößt, macht die Nutzung des Dienstes durch Unternehmen und den Kanzler nach der Rechtsprechung des EuGH nicht rechtswidrig, solange keine Nutzerdaten analysiert werden.
Solange Kanzler und Regierung nur Eigendarstellungen posten oder ihre Regierungsarbeit erklären und dabei nicht den politischen Willen der Bürger beeinflussen wollen und nicht auf politische Gegner abzielen, verstoßen sie nicht gegen ihre staatliche Neutralitätspflicht. Dem Populismus kann man aber so nicht dem Kampf ansagen. Die Opposition ist hier mangels Regierungsmacht freier.
Verwendete Quellen
- bild.de: Senatorin warnt vor "Vergewaltigungs-Tag" an Berliner Schulen
- faz.net: EU leitet neue Ermittlungen gegen Tiktok ein
- nzz.ch: Wie gefährlich ist Tiktok wirklich? Eine Rekonstruktion
- bundestag.de: Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen in
zeitlicher Nähe zu Wahlterminen - faz.net: Warum der Tiktok-Account des Bundeskanzlers rechtswidrig ist (Bezahlinhalt)
- faz.net: Warum der Tiktok-Account des Bundeskanzlers nicht rechtswidrig ist (Bezahlinhalt)
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