Wie gefährlich sind soziale Netzwerke für Jugendliche? Nicht erst seit der brutalen Attacke auf eine 15-Jährige in Wien Floridsdorf vergangene Woche, die von den Tätern gefilmt und im Internet verbreitet wurde, fragen sich das Eltern und Experten. Was treibt jemanden dazu an, so ein Video ins Netz zu stellen und warum lässt sich jemand möglicherweise freiwillig verprügeln?

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Brigitte Sindelar kennt einen möglichen Grund. Die Kinder- und Jugendtherapeutin sagte gegenüber dem ORF-Team der Sendung "Thema" : "Unter Jugendlichen kann das ein sozial attraktives Verhalten sein und eine virtuelle Mutprobe werden, die eine Selbstwertsteigerung bewirken kann, allerding in sozial nicht nützlicher Form."

Der Fall der 15-jährigen Wienerin ist längst nicht die einzige schreckliche Tat Jugendlicher, die im Internet und auf diversen Social Media-Plattformen gelandet ist. Die Dunkelziffer sei hoch, sagen Experten. So etwa im Fall einer Schülerin aus Vorarlberg. Erst zwei Wochen nach einem Vorfall im Schulhof entdeckten die Eltern, dass es ein schreckliches Video ihrer Tochter gab, in dem sie als Mobbing-Opfer im Netz gedemütigt wurde.

Gegenüber dem ORF nahm die Mutter der jungen Vorarlbergerin anonym Stellung: "Sie ist komisch geworden und hat nur noch geweint, ist nicht mehr außer Haus gegangen." Ihr Bruder habe dann ihr Smartphone nach möglichen Ursachen durchsucht und sei dabei auf das brutale Video gestoßen.

Gefahr Cybermobbing: Inhalte verschwinden nie

Erst als die Polizei aktiv wurde und mit der Schulleitung Kontakt aufnahm, konnte man die Täter ausfindig machen. Heuer im Mai wurden diese verurteilt. Dem Opfer bringt das wenig. Dreimal hat das Mädchen, das mittlerweile in die 4. Klasse geht, bereits die Schule gewechselt. Doch das Video kursiert weiter im Netz. In jeder Schule sei sie bereits darauf angesprochen worden, sagt die Mutter. Selbst ihre Geschwister wurden am Arbeitsplatz auf das Video angeredet. "Das kommt immer wieder und hört nicht auf." Sie wisse nicht, was die Familie noch machen solle. Dass das Material jemals verschwinden werde, daran glaubt sie nicht.

Und genau das ist eines der größten Probleme beim Cybermobbing. "Es entscheidet sich vom normalen Mobbing gerade dadurch, dass es kein Entkommen gibt. Man kann es als Opfer nicht beeinflussen. Zusätzlich ist die Möglichkeit gegeben, dass der Täter anonym bleibt", sagt Sindelar und erwähnt ein weiteres Problem: Cybermobbing zieht sich durch alle Schichten.

"Kindern und Jugendlichen fehlt oft noch das Mit- und Einfühlungsvermögen. Meistens sind es Kinder, die zu wenig Geborgenheit und Zuneigung erfahren haben", sagt Sindelar. 30 Prozent der Jugendlichen bis 20 Jahre seien davon betroffen, besagt eine neue Studie laut ORF. Doch nur die Hälfte hole sich Hilfe.

Keine Hilfe von Facebook

Doch welche Hilfe kann es hier überhaupt geben? Von Plattformen wie Facebook kann man sich kaum welche erwarten. Hier löschte man das Video erst, als die Staatsanwaltschaft aktiv wurde. Gegenüber dem ORF-Team meinte eine Sprecherin gar, dass das Video deshalb nicht gelöscht worden sei, weil es ein Video gegen Gewalt sei. Eine Ansicht, die Befremdung auslöst.

Nicht so bei Max Schrems. Der Jurist, Autor und Datenschutzaktivist klagte bereits einmal erfolgreich gegen Facebook und konnte so das Safe-Harbor-Abkommen zwischen EU und den USA beenden, was als starkes Signal für einen stärkeren europäischen Datenschutz galt. Er weiß, wie Facebook tickt und ist nicht überrascht über das fragwürdige Verhalten: "Es ist für Facebook schlichtweg billiger nicht ordentlich zu agieren, als sich an die Gesetze zu halten. Würde Facebook das machen, müsste es Hunderte Mitarbeiter pro Land einstellen, die sich im Detail auskennen." Man könnte sagen: die sozialen Netzwerke sparen auf Kosten der Opfer.

Schrems: Schärfere Gesetze statt höfliches Bitten

Jene Mitarbeiter, die aktuell die Inhalte prüfen, würden nicht einmal genügend Zeit haben, um sich wirklich alles anzusehen, so Schrems. "Das sind meistens Mitarbeiter, die 1 bis 2 Euro die Stunde verdienen und aus Ländern kommen, in denen Gewalt vielleicht gar kein so ein brenzliges Thema ist, dafür aber sexuelle Inhalte wie Brustwarzen." Er plädiert deshalb für schärfere Gesetze. Man dürfe die Konzerne nicht höflich bitten sich an Gesetze zu halten, sondern müsse entsprechende Paragrafen erfinden.

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