Sekundenschlaf zählt zu den häufigsten Unfallursachen. Gerade schwere Unglücke gehen häufig auf Einnicken am Steuer zurück. Oft sind Schlafstörungen beteiligt. Kann moderne Technik helfen?

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Unsanftes Erwachen am frühen Morgen: An einem Samstag um 5.45 Uhr kracht ein Pkw in einem saarländischen Ort in eine Hauswand - der Toyota ist Schrott. Der anscheinend unverletzte 37-jährige Fahrer gibt an, er sei in einen Sekundenschlaf gefallen und erst beim Aufprall geweckt worden.

"Einschlafen am Steuer ist eine Straftat"

Nicht immer enden solche Vorfälle derart glimpflich. Regelmäßig berichten Medien von Unfällen, bei denen Lkw-Fahrer in das Ende eines Staus rasen - oft gibt es Todesopfer. Und Experten vermuten, dass Sekundenschlaf dabei häufig eine Rolle spielt.

Die genaue Ursache lässt sich allerdings gewöhnlich nicht ermitteln, denn nur wenige Fahrer geben an, eingenickt zu sein. "Einschlafen am Steuer ist eine Straftat", sagt Hans-Günter Weeß von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).

"Deshalb gibt das kaum jemand zu." Und im Gegensatz zu Alkohol lässt sich Schläfrigkeit nach einem Unfall, wenn der Adrenalin-Pegel in die Höhe geschnellt ist, kaum nachweisen.

Mehr Tote durch Einschlafen als durch Alkohol

Lediglich der Hergang, so der Forscher, könne Hinweise auf die Ursache geben. Ungebremst in einen Stau zu rasen sei typisch für Sekundenschlaf. "Schläfrigkeitsunfälle sind oft die schwersten Unfälle", betont Weeß.

"Wir gehen davon aus, dass auf deutschen Straßen mehr als doppelt so viele Menschen durch Einschlafen sterben wie durch Alkohol." Im Jahr 2015 verursachte Trunkenheit etwa 260 Verkehrstote.

Eine Studie des HUK-Verbands ergab schon in den 1990er Jahren, dass auf deutschen Autobahnen etwa jedes vierte Todesopfer auf Sekundenschlaf zurückgeht.

Gerade solche Straßen verführen - im Vergleich zu Landstraßen und Stadtverkehr - zum Einnicken: lange Entfernungen, wenig Aktivität, eintönige Umgebung. "Monotonie ist ein Stimulus für Schläfrigkeit", sagt Weeß.

Leistungstief zwischen drei und sechs Uhr Nachts

Doch vor allem die Tageszeit beeinflusst die Aufmerksamkeit: "Viele Unfälle durch Schläfrigkeit passieren in der zweiten Nachthälfte zwischen 3 und 6 Uhr", sagt Schlafforscher Jürgen Zulley von der Universität Regensburg. "Dann sinkt die biologische Leistungsfähigkeit auf ein Tief."

Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) glaubt, dass fast die Hälfte - 42 Prozent - aller nächtlichen Unfälle durch mindestens einen ermüdeten Fahrer verursacht werden.

Eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln ergab, dass sogar in Städten noch fast jeder fünfte Verkehrsunfall (18,5 Prozent) müdigkeitsbedingt ist.

Ein voller Magen kann ebenfalls Auswirkungen haben

Ein zweites Leistungstief lässt die Aufmerksamkeit tagsüber schwinden, etwa zwischen 13 und 15 Uhr. "Diese Schläfrigkeit kann durch schweres Essen noch verstärkt werden", sagt Zulley - manche Experten sprechen dann von "Suppenkoma" oder "Schnitzelkoma".

Auch eine lange Fahrtdauer schlägt auf die Konzentration, sofern man keine Pausen einlegt. "Nach vier Stunden nonstop verdoppelt sich die Unfallgefahr, nach sechs Stunden ist sie verachtfacht", sagt Jörg Kirst vom ADAC Berlin-Brandenburg. Fernfahrer müssten deshalb alle 4,5 Stunden mindestens 30 Minuten Pause machen.

Insbesondere wenn Menschen nachts wenig Erholung finden, leidet die Konzentration am Tag. Dazu können etwa Depressionen beitragen oder auch Insomnien - also Ein- und Durchschlafstörungen.

Schlafapnoe zählt zu den wichtigesten Unfallursachen

Gravierend ist Experten zufolge die weit verbreitete obstruktive Schlafapnoe: Dabei erschlafft beim Schlafen - insbesondere in Rückenlage - die Schlundmuskulatur, der Zungengrund sinkt zurück und verengt die Atemwege. Dieses Hindernis verursacht regelmäßige nächtliche Atemaussetzer - oft Dutzende pro Stunde.

Die mindern nicht nur die Sauerstoffversorgung des Blutes, sondern lösen auch Weckreaktionen (Microarousals) aus, die das Gleiten in den erholsamen Tiefschlaf und auch in den Traumschlaf verhindern, wie die Schlafmedizinerin Maritta Orth, Chefärztin im Mannheimer Theresienkrankenhaus, betont.

"Diese Menschen schlafen unter Umständen zwar lange, aber nicht effektiv." Verräterisches Symptom ist meist Schnarchen, weshalb gerade viele alleinlebende Menschen nichts von ihrem Problem wüssten, sagt Zulley. "Die wundern sich dann, dass sie tagsüber so müde sind."

Regelmäßig ausbleibende Nachtruhe kann die Tagesschläfrigkeit drastisch steigern - so weit, dass Menschen sogar im Stadtverkehr einnicken. "Schlafapnoe zählt zu den wichtigsten Unfallursachen", sagt Orth. Daher müsse ein solcher Verdacht laut einer neuen EU-Richtlinie medizinisch abgeklärt werden.

Gegen Schlafapnoe mit CPAP-Therapie vorgehen

US-Studien zufolge hätten 13 Prozent der Männer und 6 Prozent der Frauen eine obstruktive Schlafapnoe, sagt Orth, die Zahlen seien auf Deutschland übertragbar.

Unter Berufskraftfahrern hätten Studien zufolge sogar 16 Prozent die Schlafstörung, betont sie und erklärt den besonders hohen Anteil damit, dass viele Fernfahrer übergewichtig seien.

"Und diese Menschen fahren ja nicht nur Äpfel und Bananen durch die Gegend, sondern auch Menschen und Gefahrgüter."

Orth rät Betroffenen zur sogenannten CPAP-Therapie (Continuous Positive Airway Pressure) - nicht allein wegen der Tagesschläfrigkeit, sondern auch weil die Apnoe das Risiko für Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzerkrankungen deutlich steigert.

Bei der Dauertherapie wird ihnen beim Schlafen durch die CPAP-Maske Luft mit Überdruck in die oberen Atemwege geblasen. Das bessere die Tagesschläfrigkeit schon binnen Wochen deutlich, sagt Orth.

Auch wenn die Krankenkassen die Kosten übernehmen, mag nicht jeder Mensch die Maske tragen. Orth schätzt, dass sich etwa die Hälfte der Patienten dauerhaft an die Therapie hält. Schlafforscher Zulley meint: "Man muss sich daran gewöhnen."

Assistenzsysteme sollen Hinweise auf Müdigkeit erkennen

Mit Sorge sehen Experten auch, dass viele Verkehrsteilnehmer Arzneien einnehmen, die müde machen und die Aufmerksamkeit mindern. Auf dem deutschen Markt könnten etwa 15 bis 20 Prozent aller Medikamente die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, schätzt Orth.

Dazu zählten neben Schlafmitteln, Psychopharmaka und Schmerzmitteln auch eher unverdächtige Präparate wie etwa Antihistaminika, die gegen Allergien eingenommen werden.

Angesichts der Risiken erhoffen sich manche Menschen Hilfe von der Technik. Etliche Autos - insbesondere aus oberen Preisklassen - bieten inzwischen serienmäßig Assistenzsysteme, die Hinweise auf Müdigkeit registrieren sollen und dann eine Warnung abgeben.

Die Verfahren erfassen etwa Änderungen im Fahrverhalten - beim Lenken, Beschleunigen oder Bremsen - und weisen den Fahrer dann per Summen oder mit einem aufblinkenden Kaffeetassen-Symbol auf eine eventuell ratsame Pause hin.

Kann die moderne Technik helfen?

Besonders zuverlässig sind die Verfahren allerdings nicht - manche Systeme wähnen den Fahrer schon dann als schläfrig, wenn er nach kurvenreicher Bergstrecke die Autobahn erreicht und dort sparsamer manövriert.

Forscher um Peter Husar vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) haben deshalb ein Verfahren entwickelt, dass per Infrarot-Kamera registriert, wenn sich die Augenlider für eine halbe Sekunde schließen.

Eine Produktion gebe es noch nicht, sagt Husar, aber ähnliche Systeme würden von Speditionen in anderen Regionen geprüft und auch eingesetzt.

"Gegen Müdigkeit hilft nur eins: Schlaf!"

Schlafforscher Weeß überzeugt das nicht: "Ich sehe das eher kritisch", sagt er. "Kein System bietet 100-prozentigen Schutz." Bei höherem Tempo legten Fahrer schon binnen Sekunden beträchtliche Strecken zurück - "im Blindflug".

Zudem hat Weeß die Sorge, dass solche Systeme Fahrer in falscher Sicherheit wiegen könnten - nach dem Motto: So lange nichts blinkt oder summt, bin ich noch fit.

"Gegen Müdigkeit hilft nur eins: Schlaf!", betont Weeß. Laute Musik und offenes Fenster, um frische Luft ins Auto zu lassen, seien keine guten Optionen. Besser sei anhalten, Kaffee trinken und dann ein Nickerchen für 10 bis 15 Minuten.

Wer nicht schlafen könne, solle seinen Kreislauf durch Bewegung in Schwung bringen: ums Auto joggen oder Kniebeugen machen. Entscheidend sei aber, so Weeß, die nachlassende Aufmerksamkeit rechtzeitig zu bemerken: "Man muss wachsam sein, um die Müdigkeit zu erkennen."  © dpa

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