Männer bremsen die Verkehrswende: Das meint zumindest Buchautor Boris von Heesen. Was ist dran an dem Vorwurf?
Ob es um Tempo-30-Zonen, neue Radwege oder ein Tempolimit auf der Autobahn geht: In Deutschland kommt die Verkehrswende nur sehr langsam voran. Der Autor Boris von Heesen glaubt, dass die Dominanz von Männern dafür verantwortlich ist.
In seinem Buch "Mann am Steuer" beklagt er die fehlende Vielfalt in Politik, Wirtschaft und Verbänden. Es seien vor allem die Männer, die eine umweltfreundliche Mobilität verhindern.
Herr von Heesen, in Ihrem Buch schreiben Sie, die Verkehrswende gehe deshalb so langsam voran, weil Männer in Politik und Wirtschaft das Sagen haben. Jetzt unterhalten sich hier zwei Männer über Verkehrspolitik – ist das schon der Beweis für Ihre These?
Boris von Heesen: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn wir die Verkehrswende voranbringen wollen, dürfen natürlich auch Männer mitreden. Aber sie müssen den Frauen viel mehr Raum zugestehen. Die Tatsache ist, dass vor allem die Männer die Verkehrswende blockieren.
"Wenn Sie mit den Menschen über ihre Erfahrungen im Straßenverkehr sprechen, dann fällt kaum jemandem ein, dass er auf der Autobahn von einer Frau genötigt wurde."
Schon in der Einleitung Ihres Buches schreiben Sie über Männer: "Mit übermotorisierten Boliden schieben sie sich, gefährlich dicht auffahrend und lichthupend, die linke Spur der Autobahn frei." Greifen Sie da nicht in die Klischeekiste?
Das ist ein literarischer Einstieg in ein Sachbuch – da muss man ein bisschen überspitzen. Aber wenn Sie mit den Menschen über ihre Erfahrungen im Straßenverkehr sprechen, dann fällt kaum jemandem ein, dass er auf der Autobahn von einer Frau genötigt wurde. Es sind nun einmal die Männer, die diesen Akt des Nötigens vornehmen. Auch die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zeigt das sehr deutlich.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von "Petromaskulinität". Was ist das?
Der Begriff stammt von der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Cara Daggett. Es geht darum, dass Männer nicht nur die Kontrolle über den Ölsektor ausüben, sondern sich auch daran klammern, dass Fahrzeuge weiterhin mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden – und das auf eine sehr provokante Art und Weise. In den USA bauen manche Männer sogar die Filter aus ihren Motoren aus, um besonders dunkle Rauchwolken zu produzieren. Das ist ein perfektes Beispiel für Petromaskulinität.
Und in Deutschland?
Hier haben wir es vor allem mit einer patriarchalen Autonormativität zu tun. Das bedeutet, dass alles durch die Brille des Autos gedacht wird. Ob in der Politik, in der Industrie oder bei den Wirtschaftsverbänden: Überall sitzen Männer. Im Präsidium des ADAC gibt es keine einzige Frau – in einem Verband mit 22 Millionen Mitgliedern. Niemand wundert sich darüber, dass das Auto die Norm ist, andere Verkehrsmittel bekommen kaum eine Chance. Die Männer meinen das nicht mal böse. Aber sie sind so sozialisiert.
Gibt es denn auch "gute" Männer, also solche, die nicht diesem Stereotyp entsprechen?
Gar keine Frage! Natürlich gibt es Männer, die weg vom Autozentrismus wollen. Aber wenn Sie als Einziger in einem Raum mit neun anderen sitzen, ist es wahnsinnig schwer, Gehör zu finden, ganz gleich, ob als Mann oder als Frau. Wenn wir uns anschauen, welche Autos die Industrie in den letzten 20 Jahren produziert hat, wie viel größer und leistungsorientierter sie geworden sind, dann wurden abweichende Stimmen vermutlich einfach nicht gehört.
Sie schreiben, die Autolobby sitze "wie eine Spinne im Netz" und kontrolliere alles. Gleiten Sie da nicht ins Verschwörungstheoretische ab?
Na ja. Wenn wir uns anschauen, wie sich die Autoindustrie in den letzten Jahren entwickelt hat und welche Subventionen sie erhält, dann sprechen die Fakten für sich. Als Andreas Scheuer noch Bundesverkehrsminister war, hatte er 81 Termine mit der Automobilindustrie und einen einzigen mit einem Umweltverband. Daran sieht man einfach, wie gut die Netzwerke sind.
Was haben E-Fuels damit zu tun?
Ich bin überzeugt, dass die Debatte um E-Fuels eine Taktik ist, den Verbrennungsmotor länger am Leben zu halten. Jeder seriöse Wissenschaftler sagt Ihnen, dass es nie genügend E-Fuels geben wird, um auch nur einen Bruchteil der deutschen Autoflotte am Leben zu erhalten – und die, die es gibt, braucht man im Luftverkehr. Das weiß natürlich auch die Autoindustrie und deshalb halte ich diese Debatte um eine angebliche Technologieoffenheit für eine bewusste Täuschung. Der Verbrennungsmotor soll dann eben trotzdem weiterlaufen.
Nun ist die FDP, die sich vehement für Technologieoffenheit einsetzt, nicht mehr im Bundestag. Glauben Sie, dass die Verkehrswende unter der neuen Regierung vorankommt?
Ich habe immer Hoffnung. Die SPD und auch viele in der CDU wissen, dass wir das Auto kritisch in den Blick nehmen müssen. Mein größter Wunsch an die neue Regierung wäre eine Bundesverkehrsministerin. Zum ersten Mal würde eine Frau dieses Amt ausüben. Das wäre natürlich ein symbolischer Schritt, aber er hätte eine enorme Signalwirkung.
Wieso würden Frauen denn eine andere Verkehrspolitik machen?
Ich glaube nicht, dass Frauen automatisch alles besser machen würden. Aber ich bin überzeugt, dass wir eine bessere Politik bekommen, wenn wir mehr Sichtweisen einbinden. Frauen erleben oft eine ganz andere Mobilität, weil sie durch Teilzeitarbeit, durch die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen im Alltag andere Wege zurücklegen. Diese Perspektive sollte mit einfließen.
In Ihrem Buch erzählen Sie von Plakaten mit der Aufschrift "Conduisez comme une femme" (Fahren Sie wie eine Frau), die in der Pariser U-Bahn hingen. Was hatte es damit auf sich?
Man hat die Unfallstatistik analysiert und einen klaren Zusammenhang festgestellt: Wenn du wie eine Frau fährst, dann lebst du länger. Die meisten schweren Unfälle werden einfach von Männern verursacht. Als diese Kampagne von deutschen Medien aufgegriffen wurde, war der Aufschrei groß. Die Männer fühlten sich provoziert und angegriffen, aber eine Debatte über ihr Fahrverhalten kam nicht zustande. Genau die bräuchte es aber, denn die Daten sind auch in Deutschland eindeutig. Nur spricht hierzulande niemand darüber.
Welche Lösungsansätze schlagen Sie vor?
Erstens: Über die Zahlen ehrlich debattieren, genau wie über die männliche Dominanz im Verkehr. Zweitens: eine lebenslange Mobilitätsbildung. Es reicht nicht, in der Grundschule mit dem Fahrrad einmal über den Hof zu fahren. Auch im Studium oder zu Beginn der Rente muss es solche Angebote geben. Und drittens sollten wir uns die patriarchale Autonormativität bewusst machen. Erst dann wird es Veränderungen geben.
Ein Tempolimit auf der Autobahn haben Sie jetzt nicht genannt.
Das auch, natürlich. Ich könnte noch zwei Stunden weiterreden und Maßnahmen aufzählen.
Nun gibt durchaus Entwicklungen in Richtung Verkehrswende, zum Beispiel das Neuzulassungsverbot von Verbrennern in der EU ab 2035. Sind die Männer vielleicht doch für Ihre Argumente empfänglich?
Es gibt positive Entwicklungen, auf alle Fälle! Das Verbrenner-Aus halte ich für absolut sinnvoll. Ich sehe aber auch die enorme Energie, die die Autoindustrie aufbringt, um das Erreichte zu konterkarieren. Andererseits setzen erfolgreiche Projekte im Ausland auch Deutschland unter Druck.
In Paris gibt es immer mehr autofreie Straßen und hohe Parkgebühren für große Fahrzeuge. Auch in Barcelona, Utrecht oder Kopenhagen geht die Dominanz des Autos zurück – und die Leute nehmen diese Wende an.
Über den Gesprächspartner
- Boris von Heesen arbeitet als geschäftsführender Vorstand eines Jugendhilfeträgers in Darmstadt. Als Autor und Referent beschäftigt er sich mit gleichstellungsorientierter Männerpolitik. Sein aktuelles Buch "Mann am Steuer: Wie das Patriarchat die Verkehrswende blockiert" ist bei Heyne erschienen.
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