Der Todesstrafe ist Eugen Adelsmayr nur knapp entronnen. Der Arzt aus Oberösterreich soll die Hauptschuld am Tod eines pakistanischen Arbeiters haben. Am 17. Juli vor drei Jahren begann in Dubai der Prozess gegen ihn. Der Mediziner wurde letztlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Wie es dazu kam.
Die Vorgeschichte
September 2004: Der Anästhesist und Intensivmediziner Eugen Adelsmayr aus Bad Ischl (Oberösterreich) stolpert im Internet über ein Stellenangebot: "Intensivmediziner für vier Wochen gesucht. Sheikh Khalifa Hospital, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate." Der Oberarzt an der Innsbrucker Uni-Klinik hat seit einer Marokko-Reise ein Faible für den arabischen Raum und nimmt die Stelle an.
Februar 2005: Adelsmayr lässt sich an der Innsbrucker Uni-Klinik freistellen, um erneut nach Abu Dhabi zu gehen. Diesmal für ein Jahr. Seine Frau Antonia und die Söhne Gabriel und Tassilo bleiben in Bad Ischl.
Februar 2006: Der oberösterreichische Arzt übernimmt die Leitung der Intensivstation am Rashid Hospital Trauma Center in Dubai. Er beschreibt die Stelle als "tollen Schritt für die Karriere".
November 2008: Die jährliche Mitarbeiterbeurteilung im Rashid Hospital verstimmt Dr. Yasser Masri und Dr. Hassan Fouad Kamaliddin. Beide fühlen sich von Adelsmayr zu schlecht bewertet. Aufgrund von Gerüchten, die Dr. Hassan streut, wird der Österreicher zur Krankenhausdirektion zitiert, die an der Beurteilung nichts beanstanden kann.
14. Jänner 2009: Der 46-jährige Ghulam Mohammed Ellahi Bakhsh fällt aus einem Stockbett und wird in die Intensivstation des Rashid Hospitals eingeliefert. Der pakistanische Arbeiter hat sich das Genick gebrochen und ist vom Hals abwärts gelähmt. Der Patient erleidet in den nächsten Wochen immer wieder Herzstillstände und wird mehrmals reanimiert. Etwa zu diesem Zeitpunkt unterschreibt Adelsmayr einen Arbeitsvertrag bei einem österreichischen Spitalprojekt in Al Ain/Abu Dhabi.
21. Februar 2009: Der Patient Mohammed Ellahi stirbt an einem Herzstillstand. Der diensthabende Arzt zu diesem Zeitpunkt ist der Inder Dr. Mohammed Obeid Allah Khan.
1. März 2009: Dr. Yasser Masri beschuldigt Adelsmayr in einem Brief an den Ärztlichen Direktor des Rashid Hospitals der medizinischen Fehlbehandlung und unterlassenen Hilfeleistung. Der Mediziner aus Österreich habe die mündliche Anordnung gegeben, den Patienten Mohammed Ellahi nicht aktiv wiederzubeleben, obwohl dieser eigentlich stabil gewesen sei. Der Direktor fordert einen Untersuchungsbericht vom Morbiditäts- & Mortalitäts-Komitee an.
19. März 2009: Der Bericht des Morbiditäts-& Mortalitäts-Komitees liegt vor und belastet Adelsmayr schwer. Der Verfasser und Co-Vorsitzende des Komitees, Dr. Hassan Fouad Kamaliddin, fordert darin nicht nur die behördliche Untersuchung des Falls durch die Dubai Health Authority (DHA), es ist auch erstmals von Totschlag und Mord an dem pakistanischen Patienten die Rede.
April 2009: Dienstantritt für Eugen Adelsmayr im Al Ain Hospital in Abu Dhabi. Der bis dahin vollkommen Ahnungslose erfährt über Freunde, dass im Rashid Hospital seinetwegen Ermittlungen durchgeführt werden.
Juli 2009: Adelsmayr wird von der DHA vorgeladen und vom Vorsitzenden Dr. Ashraf Mahmoud El-Houfi, einem Bekannten von Dr. Hassan, zu den Vorwürfen befragt.
26. August 2009: Der Untersuchungsbericht der DHA liegt vor. Dr. Ashraf übersetzt den Text selbst ins Arabische und leitet später seine Version an die Staatsanwaltschaft weiter. Die Übersetzung enthält hinzugefügte Passagen, die Adelsmayr belasten, und verzichtet auf die im Original enthaltenen entlastenden Textstellen. Wo der originale Bericht lediglich empfiehlt, bezüglich der Reanimationsordnung klare Regeln einzuführen, um Missverständnisse künftig zu vermeiden, gibt die Übersetzung von Dr. Ashraf den Vorwürfen von Dr. Hassan uneingeschränkt Recht.
Dezember 2009: Adelsmayr wird die Ärztelizenz entzogen, eine Suspendierung vom Al Ain Hospital folgt. Der Arzt fordert ein Berufungsverfahren vom Higher Commitee for Medical Liability (HCML) an.
6. April 2010: Das HCML nimmt die Untersuchung des Falls auf. Die Suspendierung ist vorerst aufgehoben.
17. Mai 2010: Adelsmayr wird von der Polizei verhört. Der Vorwurf lautet, der Arzt hätte den Tod des pakistanischen Patienten verschuldet. Dr. Yasser hatte Anzeige erstattet. Der Fall wird der Staatsanwaltschaft in Dubai übergeben. Adeslmayr verliert seinen Pass und darf die Arabischen Emirate nicht mehr verlassen. Dr. Hassan wandert inzwischen nach Australien aus.
Jänner 2011: Der Bericht des HCML spricht Adelsmayr von allen Vorwürfen frei. Das Schreiben wird auch der Staatsanwaltschaft übergeben. Diese ermittelt trotzdem weiter.
Der Prozess
17. Juli 2011: Der Prozess gegen Eugen Adelsmayr und seinen Kollegen Dr. Mohammed Obeid Allah Khan wird im Dubai Court eröffnet. Beide plädieren auf "nicht schuldig". Die Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe für den österreichischen Arzt.
19. Juli 2011: Adelsmayr wird erneut vom Dienst suspendiert. Dr. Obeid darf weiterarbeiten.
7. August 2011: Zweiter Verhandlungstag: Die Verhandlung wird auf den 7. September vertagt. Adelsmayr erfährt am Abend telefonisch von der schweren Krebserkrankung seiner Frau Antonia.
7. September 2011: Der Prozess wird abermals vertagt: Die fünf geladenen Belastungszeugen bleiben der Verhandlung unentschuldigt fern.
10. September 2011: Ein Expertenteam des österreichischen Außenministeriums trifft ein. Diplomatische Verhandlungen sollen Adelsmayr die Heimreise zu seiner kranken Frau ermöglichen.
25. September 2011: Der Prozess wird fortgesetzt: Drei von fünf geladenen Zeugen erscheinen. Dr. Ashraf belastet Adelsmayr, ein Pfleger und eine Schwester entlasten ihn.
27. September 2011: Ein erster Sieg: Adelsmayr erhält aus humanitären Gründen seinen Pass zurück und darf zu seiner schwerkranken Frau nach Österreich reisen. Einen Tag später landet er am Flughafen Wien-Schwechat, wo ihn Journalisten erwarten.
16. Oktober 2011: Die Verhandlung wird fortgesetzt. Hauptbelastungszeuge Dr. Yasser wiederholt seine Aussage, kann die Anschuldigungen jedoch nicht begründen. Die zweite Zeugin, eine Krankenschwester, sagt zu Gunsten des Angeklagten aus. Adelsmayr darf seinen Pass behalten und in der Prozesspause wieder nach Österreich fliegen.
30. Oktober 2011: Nächster Verhandlungstermin. Erstmals werden im Prozess von der Verteidung Entlastungszeugen vorgeladen. Eine Oberschwester und eine Ärztin entlasten den Angeklagten. Der Arzt fliegt nach der Verhandlung wieder nach Österreich.
7. Dezember 2011: 7. Verhandlungstag. Einen Tag zuvor taucht die Krankenakte des pakistanischen Patienten auf. Adelsmayr stellt Antrag auf Vertagung der Verhandlung um Zeit für die Durchsicht zu haben. Dem wird stattgegeben.
28. Dezember 2011: 9. Verhandlungstag: Die Verteidigung zeigt dem Gericht Manipulationen im DHA-Bericht auf. Drei Zeugen sprechen ebenfalls für den Mediziner. Richter und Staatsanwalt ignorieren diesen Umstand weiter.
20. Jänner 2012: Antonia Adelsmayr erliegt ihrem Krebsleiden. Ihr Mann befindet sich zu diesem Zeitpunkt bei ihr in Österreich. Die Verhandlung am 22. Jänner wird auf Antrag der Verteidigung verschoben.
22. Februar 2012: Adelsmayr, der nicht mehr an einen fairen Prozess glaubt, ist zum ersten Mal nicht bei der Verhandlung anwesend. Zu groß ist die Angst, im Anschluss nicht mehr aus Dubai ausreisen zu dürfen oder gleich im Gefängnis zu landen. Er wird ab jetzt die Verhandlungen nur noch von Österreich aus verfolgen. Seine Verteidigung darf ihr Schlussplädoyer in seiner Abwesenheit nicht halten und gibt es deshalb in schriftlicher Form an die Staatsanwaltschaft weiter.
März 2012: Der österreischische Mediziner beginnt als selbstständiger Anästhesist in einer Privatklinik in Salzburg zu arbeiten. Bis September folgen zehn weitere Verhandlungstage in Dubai, die aber keine wesentlichen Fortschritte erzielen.
27. September 2012: Adelsmayr veröffentlicht ein Buch über den Prozess: "Von einem, der auszog" (Seifert Verlag). Es ist seiner verstorbenen Frau Antonia gewidmet.
21. Oktober 2012: In Abwesenheit wird Eugen Adelsmayr in Dubai am 20. Verhandlungstag zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Drei Fachgutachten zugunsten des Mediziners blieben im Prozess unberücksichtigt. Der Arzt legt keine Berufung ein, da er dafür in Dubai anwesend sein müsste und verhaftet werden könnte. Dr. Obeid erhält einen Freispruch.
16. Jänner 2014: Auch in Österreich wird der Fall geprüft. Die Staatsanwaltschaft Wels stellt nach Durchsicht der Akten aus Dubai die Ermittlungen wegen fehlender Hinweise auf ein Tötungsdelikt ein. "Für mich ist das eine Befreiung", wird Adelsmayr in einem Bericht des "Kurier" zitiert. "Ich bin offiziell unschuldig."
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